Die Krawatte ist das Symbol der westlichen Bekleidungskultur. Wer zeigen will, dass er ihre Maßstäbe respektiert, trägt Langbinder. Wer den Westen und seine Werte ablehnt, verzichtet dagegen konsequent auf den seidenen Halsschmuck. Wenn US-Nachrichtendienste die Gesinnung von Staatschefs in Sachen Terrorismus überprüfen wollen, sollten sie einfach die offiziellen Porträts der Wackelkandidaten studieren. Doch auch im Alltag sagt es viel aus, ob man mit Krawatte auftritt oder nicht.

Ein Binder, wobei hier die klassische Variante gemeint ist und nicht der modische Schmalschlips, signalisiert Förmlichkeit und Autorität – mehr als jedes andere Detail der Herrengarderobe. Der Anzug an sich ist längst kein Kleidungsstück mehr, das den Träger als Anhänger klassischer Kleidernormen ausweist. Umgekehrt kann der Binder viel wettmachen, z. B. bei der Kombination aus Oberhemd und Chino. Wenn man das Casual-Duo um eine Krawatte ergänzt, entsteht ein Mindestmaß von Förmlichkeit, man wirkt so, als habe man den Blazer gerade ausgezogen aber immer noch parat. Ein dunkler Anzug, der ohne die Mutter aller Herrenaccessoires getragen wird, wirkt dagegen immer leger.

Die Krawatte ist für mich der das widersprüchlichste Detail der Herrenmode. Von den Verfechtern der Bekleidungskultur wir es leidenschaftlich propagiert, von den Freigeistern in Sachen Garderobe verteufelt. Und beide tragen sie irgendwann aber niemand wirklich freiwillig. Jedenfalls kenne ich selbst unter den dogmatischsten Anhängern des Gentleman-Stils keinen, der in seiner Freizeit freiwillig den Binder umlegt. Wenigstens niemanden, der das behauptet, ohne Lügen zu müssen. Dennoch ist und bleibt die Krawatte für mich unverzichtbar als Ausdruck einer Lebensart. So wie sich ein rücksichtsvoller Mensch die Haare kämmt, bevor er das Haus verlässt und man in einer Kirche den Hut abnimmt, wird eben manchmal zur Krawatte gegriffen. Kultur hat nun auch mal mit Pflichterfüllung zu tun. Das ist vielleicht nicht populär aber wahr.

Bernhard Roetzel

Bilder zur Verfügung gestellt von Bernhard Roetzel