Das stimmt alles. Es ist aber gar nicht die Frage, was gewesen wäre, hätte es damals schon Internet gegeben, denn es gab damals noch kein Internet. Ausserdem war das Buch auch zu Zeiten des Internets noch lange sehr relevant. Man muss auch gar nicht dauernd über das Buch diskutieren. Noch viel weniger kritisiere ich grundsätzlich Kritik an Roetzel. Mich nervt nur, dass in letzter Zeit ein regelrechtes Roetzel-Bashing abläuft. Von Leuten, die ihn vor ein paar Jahren noch abgefeiert haben und ihm die Grundlagen für ihre heutige Arroganz zu verdanken haben. Sowas finde ich daneben.
Oder andersrum. Ich habe den Gentleman DURCH dieses Forum entdeckt und gelesen, ich kannte also das Forum VOR dem Buch. Für mich war der Gentleman also nie die Stilbibel, sondern ein bebildertes Einstiegswerk, und Themen die ich interessant fand habe ich hier im Forum vertieft gelesen. Da ich also den Gentleman sehr knapp vor Erscheinen seines zweiten Anlaufes gelesen habe vielen mir die Veränderungen unmittelbar und eventuell stärker auf. Was klar ist, und ich denke unbestreitbar, ist dass nach dem Gentleman die inhaltliche Basis deutlich breiter wurde, siehe die Kapitel zu Jeans, Funktionskleidung und Sneakers im Nachfolgewerk.
Per se ist diese Erweiterung auch völlig OK, kaum jemand trägt ausschließlich klassische britische Herrenmode. Was ich bemängle ist aber die Tiefe der Auseinandersetzung mit den neuen Themen. Er schneidet die Themen grob an, und das war es. Mir ist dabei klar, dass Herr Roetzel wohl eher kein Jeansexperte oder Sneakerafficionado ist, und mir ist auch klar , dass man mit dem Thema Denim alleine ganze Bücher füllen könnte. Die Frage ist also, wieso wählt man als Autor den schlechtesten der drei möglichen Wege, den Kompromiss?
Eine kurze Erwähnung mit dem Hinweis darauf, dass er selber sich mit dem Thema wenig befasst hat hätte gereicht. Das kenne ich aus etlichen anderen Nachschlagewerken im Stil von "nicht unerwähnt bleiben soll XX, aus Gründen der Übersichtlichkeit beschränke ich mich in diesem Werk aber auf YY" - schon wäre das elegant umschifft (Jeans sind wesentlicher Bestandteil der heutigen Freizeitmode, ich beschränke mich jedoch in diesem Werk auf die formellere Kleidung...) - oder er nimmt sich die Zeit, recherchiert sauber und liefert Inhalt, auch wenn das Buch dadurch 4x so teuer und 5x so dick wird. Dann stimmen Umfang, Preis und Leistung. Aber oberflächliches BlaBla kann man sich sparen.
Wie gesagt, dieser Eindruck entstand nach der Lektüre des zwar werbelastigen, aber inhaltlich fundierten Gentleman und der unmittelbar darauf folgenden Lektüre des Modeguide. Man kann kaum glauben, dass die Bücher vom selben Autor stammen. Das hat nichts mit Bashing zu tun, sondern ist belegbare Kritik.
Wo Roetzel 4 (zieht man die Bilder ab knapp 2) Seiten zum Thema Jeans abliefert schafft Küblbeck 32 (man verzeihe mir wenn das inkorrekt ist, die 32 sind am Kindle gezählt und wohl schriftgrößenabhängig - ich lese aber eher klein). Küblbeck beschränkt sich auf Raw Denim und liefert ein Literaturverzeichnis für tiefergehende Recherche. Wo ist das Bashing?
Braucht man eine Doppelseite mit 2/3 Bildanteil zu Cowboystiefeln oder Sweatshirts, wenn man dieser Doppelseite kaum relevanten Inhalt entnehmen kann?
Was die klassischen Anzüge oder Fragen zur Passform der selben angeht ist auch der Modeguide OK. Ebenso bei Krawatten, anderen Accessoires oder der formellen Abendgarderobe. Da merkt man der Autor hat Ahnung. Man fragt sich nur wieso er so viel wertloses Füllmaterial dazwischenklatscht.